ESSAY-BRIEF

Essay-Brief Mai 2017

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Der Absturz meines Egos

© Bernd Helge Fritsch

 

Aus dem Buch „Begegnung mit dem Ich“ von Bernd Helge Fritsch

Der Absturz meines Egos

Im Dezember 1987 unternahm ich eine Bergtour. Ich hatte vor, den Gipfel eines rund 2000 m hohen Berges beim Ort „Wald am Schoberpass“ in der Steiermark zu ersteigen, um von dort mit meinem Paragleiter, einem fall-schirm-artigen Fluggerät, ins Tal zu fliegen. Beim Anstieg begleitete mich mein Freund Gerhard, der nicht vorhatte mitzufliegen, sondern zu Fuß wie-der absteigen wollte. Trotz stürmischem Wind, der am Gipfel herrschte, hatte ich leichtsinniger Weise keine Bedenken den Flug zu wagen. Der Start ging gut von statten. Ich hatte bereits eine beachtliche Flughöhe erreicht, als plötzlich – offenbar durch eine Windböe, die über einen seitlichen Felskamm rollte – der Schirm in sich zusammenfiel.

Was dann geschah, habe ich heute noch vor Augen, als wäre es eben ge-schehen. In einem freien Fall, der immer schneller wurde, stürzte ich erd-wärts. Es werden nur einige Sekunden gewesen sein, bis ich am Boden aufschlug, doch mir waren diese Sekunden wie eine Ewigkeit. Ich hatte kei-ne Schreck- oder Angstgefühle. Es war mir, als wäre ich nur ein Zuschauer, der beobachten kann, wie mit rasender Schnelligkeit eine steile Bergrinne auf mich zukommt.

Nach dem ersten heftigen Aufprall wurde ich noch eine gute Strecke entlang der Felsrinne weiter bergab geschleudert. Schließlich blieb ich liegen und der Fallschirm senkte sich behutsam auf mich herunter. Sodann war ich offen-bar einige Zeit bewusstlos. Irgendwann erwachte ich. Ich lag am Rücken und alles war strahlend weiß rund um mich, denn der Fallschirm lag wie ein seidenes Leichentuch über mir. Da war kein Bernd mehr, sondern nur das wunderbare Gefühl Nichts zu sein und damit verbunden ein Empfinden von tiefer Ruhe und wohltuendem Frieden. Mir kam der Gedanke: „So schön ist der Tod“. Erst nach einer geraumen Weile kehrte ein Körpergefühl zurück und mir wurde klar: „Du bist nicht tot - du lebst!“

 

Das weitere äußere Geschehen sei kurz geschildert. Wie durch ein Wunder hatte ich bei diesem Absturz nur starke Stauchungen und Prellungen erlit-ten. Mein Freund, der mich gut wegfliegen sah, hatte sich schon auf den Weg gemacht und so meinen Unfall nicht mehr mitbekommen. Unter heftigen Schmerzen konnte ich allein über Felsen und schließlich durch einen Wald in das Tal hinabsteigen. Während der drei Stunden meines Abstiegs – zwischenzeitlich war die Dunkelheit hereingebrochen – hatte ich seltsame innere Wahrnehmungen.

Ungeachtet meines körperlichen Zustandes empfand ich höchste Glücksge-fühle und es war, als spräche jemand zu mir:

„Bernd, sieh an dein bisheriges Leben. Willst du wirklich so weitermachen? Ist es Deine Lebensaufgabe, viel Geld zu verdienen, dich mit waghalsigen Unternehmungen zu beweisen und deine Zeit mit der Erfüllung selbstsüch-tiger Wünsche zu vergeuden?

Dieses Leben ist zu Ende. Es wurde dir eben ein neues Leben geschenkt. Du wandelst in deinem alten Körper weiter, doch ein neuer Pfad hat sich eröff-net!“

Meine Schmerzen hatten mir keine Tränen entlocken können, aber diese Stimme vermochte es. Sie ergriff mich tief in meinem Innersten. Mich er-schütterte nicht allein, was gesagt wurde, sondern es strömte etwas in mich, das ich nicht fassen konnte. Mit einem Schlag wurde ich in ein unendlich weites und zugleich unbeschreiblich schönes Sein verwandelt.

Mein Leben hat sich danach radikal verändert. Ich war damals als erfolgrei-cher Rechtsanwalt tätig. Dazu hatte ich mir ein großes Restaurant mit Fremdenzimmern als Mühlstein um den Hals gebunden. Ich war da und dort „dabei“, hatte etliche Beziehungen zu Frauen, betrieb leidenschaftlich Sport – Drachenfliegen, Surfen, Schifahren, Tennis, Tauchen . . .

Mit einem Mal war das alles aus und vorbei. Ich war plötzlich frei von all dem, was mir bisher lieb und teuer war. Ich verkaufte den Gastbetrieb und mein Wohnhaus, beendete meine Tätigkeit als Anwalt, ließ vom Sport ab . . . Ich wurde zum „Hauslosen“ und ging auf Wanderschaft in die Welt hinaus.

Diese Veränderung kostete mich keine Überwindung. Die innere Stimme meldete sich immer wieder und mit leichtem, heiterem Herzen konnte ich ihr folgen.

Meine Verwandten und Freunde schüttelten begreiflicherweise den Kopf über Bernd. Ich wurde als „Aussteiger“ bezeichnet, ich allerdings fühlte mich als „Einsteiger“.

Mein neues Leben war beglückend und friedvoll, doch zugleich ein Ringen um Wahrheit und Erkenntnis. Ich musste diesen Weg gehen, der sicher kein allgemeines Vorbild für andere sein sollte. Mein Seelen-Pendel musste jeden-falls auf die andere Seite ausschlagen.

Heute ist es mir bewusst, dass es nicht erforderlich ist, alle weltlichen Freu-den und allen Besitz aufzugeben, in die Hauslosigkeit zu gehen, ferne Länder aufzusuchen oder mit Mönchen in einem Kloster zu leben um Befreiung zu erlangen und das „Selbst“ zu verwirklichen. Es genügt schlicht und einfach nur von unserem Ego, vom „Sucher“ und „Besitzer“, von unserem Wünschen und Wollen loszulassen. Und das können wir, wo immer wir uns befinden, an jedem Ort und zu jeder Zeit vollziehen!

Schon während meiner Schulzeit war ich stark angezogen von den Lehren der großen Denker und Philosophen. Diese Begeisterung hat mich nie ver-lassen. Ich konnte ganz aufgehen in den Lehren der großen Meister. Wenn ich Buddha las, dann war ich ganz Buddha, wenn ich Sokrates las, so war ich „anwesend“ unter seinen Jüngern und lauschte ergriffen seinen Ausfüh-rungen über die Unsterblichkeit der Seele.

Die geisteswissenschaftlichen Schriften eines Rudolf Steiners, eines Krish-namurti, eines Ramana Maharshi oder anderer „Eingeweihter“ haben mich immer wieder gefesselt. Ich war begeistert von ihren praktischen Lebens-weisheiten, doch ich zweifelte immer an ihren Darstellungen der sogenann-ten „übersinnlichen“ Welt. Diese Schilderungen erschienen mir immer etwas phantastisch und unbegreiflich.

Inzwischen ist für mich die geistige Welt mindestens ebenso „real“ wie jede sinnliche Erfahrung. Ein Tor in eine neue Welt hat sich in mir aufgetan. Meine innere Stimme ist mir zum starken Halt und Führer geworden und sie vermag mir stets Freude und Geborgenheit zu schenken.

 

Herzliche Grüße

Bernd